Neurodivergenz ist ein Begriff, der in der psychologischen und gesellschaftlichen Debatte zunehmend an Bedeutung gewinnt. Doch was genau heisst das – und wie steht es um die Situation in der Schweiz?

Was bedeutet Neurodivergenz?
Neurodivergenz beschreibt natürliche Unterschiede in der menschlichen Informationsverarbeitung. Dazu gehören unter anderem:
- Autismus-Spektrum-Störungen
- ADHS
- Dyslexie (Leseschwäche)
- Dyskalkulie (Rechenschwäche)
- Tourette-Syndrom
Diese neurologischen Varianten sind keine Defizite. Sie bringen Herausforderungen mit sich – ebenso wie besondere Stärken: Kreativität, aussergewöhnliche Detailwahrnehmung, hohe Ausdauer oder innovatives Denken.
Zahlen und Realität in der Schweiz
Genaue Statistiken sind schwierig, doch aktuelle Schätzungen zeigen:
- Rund 1 % der Bevölkerung ist im Autismus-Spektrum
- Etwa 5 % der Kinder und 2–3 % der Erwachsenen leben mit ADHS
Viele Menschen bleiben undiagnostiziert – insbesondere im Erwahsenenalter, wo neurodivergente Merkmale oft weniger offensichtlich oder falsch gedeutet werden

Fortschritte und positive Entwicklungen
In den letzten Jahren hat sich in der Schweiz einiges bewegt:
🧠 Forschung
Die Schweiz beteiligt sich an internationalen Projekten wie AIMS-2-TRIALS, um bessere Diagnostik und Therapieangebote für Autismus zu entwickeln.
🌍 Internationale Sichtbarkeit
Beim Davos Neurodiversity Summit 2025 diskutierten Betroffene, Expert:innen und Führungspersönlichkeiten globale Strategien zur Inklusion.
💬 Selbsthilfe & Community
Organisationen wie Neurodivergent Zürich bieten Raum für Austausch, Begegnung und Empowerment. Die Bewegung wächst stetig.
Herausforderungen: Was braucht es noch?
Trotz dieser Fortschritte bestehen weiterhin strukturelle und gesellschaftliche Hürden:
- Lange Wartezeiten auf Diagnosen – besonders für Erwachsene
- Unterschiedliche Unterstützungsangebote je nach Wohnkanton
- Teilweise unzureichende Kostenübernahme durch die Grundversicherung
- Fehlende Fachpersonen mit Expertise für Erwachsene
- Stigmatisierung im Bildungs- und Arbeitsumfeld
Schule und Beruf: Potenziale erkennen statt ausgrenzen
Im Bildungssystem wird zunehmend auf Inklusion gesetzt. Viele Kinder mit besonderem Förderbedarf werden in Regelklassen unterrichtet – begleitet von heilpädagogischen Fachpersonen. Doch die Umsetzung ist kantonal unterschiedlich.
Im Arbeitsleben zeigt sich ein ähnliches Bild: Obwohl viele neurodivergente Menschen wertvolle Kompetenzen mitbringen (z. B. Konzentration, Genauigkeit, Innovationsfreude), liegt ihre Arbeitslosenquote über dem Durchschnitt.
Ermutigend ist: Immer mehr Unternehmen entdecken diese Potenziale – besonders in Bereichen wie IT, Analyse, Forschung oder Qualitätsmanagement.
Fazit: Neurodivergenz als Stärke begreifen
Die Schweiz hat wichtige Schritte gemacht – doch wir stehen noch am Anfang. Um echte Inklusion zu leben, braucht es:
- Frühzeitige Diagnostik und gezielte Förderung
- Mehr Bewusstsein in Gesellschaft, Schule und Wirtschaft
- Stärkere Netzwerke zwischen Betroffenen, Fachpersonen und Politik
Denn: Neurodivergenz ist keine Schwäche. Sie ist ein Ausdruck menschlicher Vielfalt – und diese Vielfalt ist eine Stärke.
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